Sternstunden des Online-Journalismus: „Der Westen“ guckt Lanz

(Foto: Kurt Kulac/CC BY-SA 3.0)

Das Nacherzählen von Fernsehformaten, vor allem öffentlich-rechtlichen Talkshows, ist neben dem Instagram-Nachplappern so mit das Enervierendste am Journalismus.online. Dieser Tage hat es Charlotte Roche erwischt, die sich in die ZDF-Rederunde von Markus Lanz gewagt hat und dafür auf derwesten.de, dem Onlineportal der WAZ, leiden muss.

Dass Onlineredaktionen sich überhaupt an diesen Fernsehformaten abarbeiten, ist ein recht untrügliches Zeichen dafür, was in unseren Tagen das eigentliche Leitmedium ist: Fernsehsendungen bescheren eben nicht nur ZuschauerInnen, sondern auch hohe Klickzahlen, sie sind aufmerksamkeitsökonomisch gewinnträchtig. Das Problem: Der Nachrichtenwert solcher Nachberichte ist dürftig, denn alles, was gesagt werden musste, ist bereits in den Talkshows gesagt worden.

Also garniert der Onlineautor seine Nacherzählung entweder mit seinen persönlichen moralischen Bewertungen oder er erlaubt sich den einen oder anderen vermeintlichen Scherz über die Sendung. So erging es nun Lanz und Roche im „Westen“:

„Am Donnerstagabend hatte Markus Lanz Autorin Charlotte Roche in seiner Talkshow zu Gast. Und der ZDF-Moderator blamierte sich schon bei der Begrüßung der 40-Jährigen – mit einem vermeintlich lustigen Spruch über ihren Mega-Bestseller Feuchtgebiete.“

Der Absatz fungierte auch als Teaser und wurde so etwa bei Google News und anderen Nachrichtenaggregatoren gefunden. Die LeserInnen, die nun Näheres wissen wollten, wurden mit Wenigem abgespeist:

„Doch hier erst mal der Lanz-Spruch im Wortlaut: ‚Als sie 2008 ein Buch mit dem süffigen Titel Feuchtgebiete vorlegte, und so langsam klar wurde, das mit dem Feuchtgebiet nicht das Erdinger Moos gemeint war, wurde es erst zum Skandal und dann zum riesigen Erfolg'“.

Da haben wir ihn, das ist offenbar der ganze Berichterstattungsanlass nach Maßgabe der WAZ. Da das selbst in den Augen der Redaktion offenbar etwas ärmlich ist, schiebt der Autor noch seine subjektive und mutmaßlich kritische Sichtweise hinterher:

„Autsch. Zum einen stellt sich die Frage, wie ein Buch ’süffig‘ sein kann, aber gut, lassen wir es so stehen. Zum anderen ist der Roman vor mittlerweile zehn Jahren erschienen, sodass jede schlechte Zote wohl schon gerissen sein dürfte. Eventuell hätte Lanz auch auf die aktuellen Projekte von Roche eingehen können. Aber so ne Mini-Provokation im Abendprogramm, da kann man ja nicht ’nein‘ sagen“.

Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat einmal von den kleinbürgerlichen Moralvorstellungen geschrieben, die seiner Meinung nach im Fernsehen walteten. Die Geschichte wiederholt sich ja nach Marx und aus der Tragödie wird dann die Farce. In der Farce des Journalismus.online wird aus dem Kleinbürger der Kleinstbürger und seine verzwergten Vorstellungen werden auf nur annäherungsweise journalistischen Webseiten von Innen nach Außen, nämlich in die Öffentlichkeit gedrängt, wo sie nichts zu suchen haben.

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Hektor Haarkötter, Prof. Dr., lehrt Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt polit. Kommunikation an der Hochschule Bonn Rhein-Sieg.

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