Wahlbetrug in den USA? Ja natürlich!

(Bild: Pixabay)

Trump spreche von Wahlbetrug, könne dafür bislang aber keine Beweise vorlegen, heißt es in diversen Nachrichtensendungen. Aber das ist in mehrfacher Hinsicht nicht richtig. Denn Trump selbst ist dieser Beweis. Die Nachrichten sollten hier sorgfältiger formulieren.

Der noch amtierende US-Präsident Trump „spricht von Wahlbetrug, konnte dafür aber bisher keine Beweise vorlegen“, heißt es im Deutschlandfunk. Trump stelle sich „als Opfer systematischen Wahlbetrugs dar, ohne stichhaltige Beweise für seine Behauptungen vorzulegen“, behauptet die ARD-Tagesschau. Ähnlich lautende Formulierungen sind auf vielen Nachrichtenkanälen gerade zu vernehmen. Doch das ist in Wahrheit überhaupt nicht der Punkt und verlagert damit das Problem auf eine völlig falsche politische Einschätzung: Der herrschende Nachrichtensound klingt nämlich so, als ob an Trumps Behauptung womöglich doch etwas dran sein könnte, wenn er denn nur „Beweise“ vorlegen würde.

Tatsächlich wendet Trump aber nur in einem äußerst durchsichtigen rhetorischen Manöver das Blatt und kontert einen Vorwurf, von dem er weiß, dass man ihn mit gutem Recht ihm und seinen Mitstreitern von der Republikanischen Partei machen könnte.

Systematischer Wahlbetrug in den USA

Wenn zu den anerkannten demokratischen Prinzipien die freie, gleiche und geheime Wahl sowie das Motto „one man, one vote“ zählen, dann liegt in den USA in einem schon historisch zu nennenden Ausmaß Wahlbetrug vor. In der angeblich ältesten Demokratie der Welt durften ursprünglich nur weiße männliche Grundbesitzer wählen – ungefähr 6 Prozent der Bevölkerung. Das änderte sich formell erst nach dem amerikanischen Bürgerkrieg, als die nun befreiten Schwarzen der US-Südstaaten offiziell das Wahlrecht zugesprochen bekommen hatten – es ihnen aber durch allerlei legislative Tricks recht schnell praktisch wieder aberkannt wurde. So musste man, um als Wähler zugelassen zu werden, wie Jan-Werner Müller vom Wissenschaftskolleg zu Berlin in der Süddeutschen Zeitung schreibt,

„viel Besitz nachweisen, komplizierte Rechenaufgaben lösen oder abgelegene Fragen über die Verfassung eines Bundesstaates beantworten – wobei die Entscheidung, ob man wirklich bestanden hatte, im Ermessen eines weißen Offiziellen lag“.

Stets ging es darum, den Weißen die politische Macht im Süden dauerhaft zu sichern und Schwarze nach Möglichkeit vom Wahlgang auszuschließen. Selbst das Lynchen – zeitweise soll in den USA alle vier Tage jemand auf diese Art ermordet worden sein – soll jüngeren Studien zufolge auch dazu gedient haben, den Weißen Macht und Einfluss zu sichern.

Der Voting Rights Act

Erst mit der Bürgerrechtsbewegung in den 1950er- und 1960er-Jahren änderte sich die Situation: Mit dem Voting Rights Act wurden die Südstaaten unter demokratische Kontrolle gestellt. Wer künftig mit legislativen Tricks Wählergruppen ausschließen wollte, musste sich solche Gesetzesänderungen von Washington genehmigen lassen. Und noch etwas änderte sich, wie wiederum Jan-Werner Müller feststellt:

„Seit den Sechzigerjahren wurden die Demokraten die Partei der Minderheiten, die Republikaner hingegen die selbsternannten Sprecher einer „schweigenden Mehrheit“, die als weiß (und christlich) verstanden wurde – mit der Folge, dass im vergangenen halben Jahrhundert kein demokratischer Präsidentschaftskandidat eine Mehrheit unter den Weißen mehr gewonnen hat“.

Fortan waren es die Republikaner, die die ethnischen Minderheiten daran hindern wollten, zur Wahl zu gehen. Paul Weyrich, einer der Vordenker der konservativen Bewegung, erkannte schon 1980, dass es für seine Sache besser sei, wenn weniger Menschen an den Wahlen teilnähmen. Unter Georg W. Bush brach dann  spätestens, wie man in der Süddeutschen Zeitung nachlesen kann, „eine neue Ära ingeniöser Wahlbehinderung“ an.

2013 schließlich hat die konservative Mehrheit des Supreme Courts, des Obersten Gerichts der USA, mit einer perfiden Argumentation den Voting Rights Act gecancelt: Da ja mit Barack Obama eine „person of color“ ins Weiße Haus gewählt worden sei, könne man beim besten Willen nicht mehr von rassistischer Diskriminierung sprechen. Die kürzlich verstorbene Richterin Ruth Bader Ginsburg, linksliberales Gewissen des Supreme Court, wandte empört ein, dass sei so, als ob man einen Regenschirm wegwerfe, nur weil es gerade nicht regne. Und das legendäre Magazin The Atlantic konstatierte, dieses Urteil habe „die USA gebrochen“.

Umittelbar nach diesem Richterspruch begannen republikanisch geführte Bundesstaaten, per Gesetz Wähler von den Listen zu streichen, die Zahl der Wahllokale zu reduzieren und die Briefwahl zu erschweren:

  • Vor den Kongresswahlen wurden in Georgia 53.000 Wahlanträge auf Halde gelegt, weil die Namen derer, die sie eingeschickt hatten, nicht exakt so geschrieben waren wie in amtlichen Datenbanken. Meist betraf es Schwarze und Latinos
  • Im Bundesstaat Texas entschied der republikanische Gouverneur Greg Abbott, dass pro Landkreis nur eine „drop-off box“ aufgestellt werden darf. Der Begriff steht für Wahlurnen, de facto überwachte Briefkästen im Freien, in die man seinen Briefwahlzettel einwerfen kann, ohne ihn der überlasteten US-Post anzuvertrauen. Das Oberste Gericht von Texas gab Abbott recht. Auch im Harris County, dem Verwaltungsbezirk, in dem die Metropole Houston liegt, durfte es demnach nur eine „drop-off box“-Wahlurne geben – für zweieinhalb Millionen eingetragene Wähler*innen!
  • Texas hatte schon wenige Stunden nach dem Urteil erklärt, dass ab sofort nur noch wählen darf, wer einen gültigen Identitätsnachweis vorlegt. Dutzende Staaten folgten. Anders als in Deutschland ist es in den USA aber gar nicht üblich, einen Personalausweis zu haben. Im Alltag reicht normalerweise der Führerschein oder ein Sozialversicherungsnachweis, um sich zu identifizieren. Etwa 21 Millionen US-Bürger verfügen nicht über die nötigen Ausweispapiere, die in inzwischen 35 Bundesstaaten verlangt werden, um wählen zu dürfen. Der weit überwiegende Teil davon sind Afroamerikaner.
  • 2018 haben die Bürger Floridas per Referendum entschieden, dass die Verfassung des Bundesstaats um einen Artikel ergänzt werden soll. Damit bekamen rund 1,4 Millionen Ex-Häftlinge das Wahlrecht zurück, das man ihnen mit ihrer Verurteilung aberkannt hatte. Da Schwarze und Latinos einen höheren Anteil der Gefängnisinsassen stellen als Weiße und sie eher Demokraten wählen als Republikaner, bedeutete es potenziell Unterstützung für die Demokraten. Doch dasrepublikanisch beherrschte Parlament Floridas beschloss daraufhin ein Gesetz, das die Rückkehr zu vollen Rechten an Bedingungen knüpft: Ehe ein ehemaliger Gefangener abstimmen darf, muss er alles abbezahlt haben, was an Gerichtsgebühren und Geldstrafen noch offen ist. Nach Schätzungen von Experten haben drei Viertel der einst Inhaftierten noch Schulden zu begleichen. Kaum einer kann diese Bedingung erfüllen.
  • Das Brennan Center for Justice an der juristischen Fakultät der New York University hat gerade eine Studie veröffentlicht, die einen Skandal aufzeigt, der eigentlich riesige Wellen hätte schlagen müssen. Zwischen 2014 und 2016 sind USA-weit 16 Millionen Wähler von den Wählerlisten gestrichen worden. Oft in automatisierten und zuweilen nachweislich fehlerhaften Verfahren. Mal werden alle Menschen gestrichen, die angeblich nicht mehr im Wahlbezirk leben. Mal werden Tausende Menschen gestrichen, von denen die Behörden annehmen, sie seien wegen einer Straftat nicht mehr wahlberechtigt. Mal ohne erkennbaren Grund.
  • Wahltag ist in den USA historisch immer ein Dienstag. Wer wählen gehen will, muss dafür oft freinehmen. Das allerdings können oft nur jene, die einen festen Job und einen netten Chef haben. Bisher scheinen das die Gesetzgeber einfach hinzunehmen.
  • Eine sehr beliebte Masche, um Menschen von der Wahl abzuhalten, ist auch das sogenannte Gerrymandering. Damit ist der Neu-Zuschnitt der Wahlkreise nach politischem Wunsch und Kalkül gemeint. Einer Studie von Ende 2019 zufolge wurden seit dem Urteil mehr als 1600 Wahlbezirke in jenen Bundesstaaten aufgelöst, die unter der Kontrolle des Voting Rights Act standen. Vor allem für Afroamerikaner sind die Wege zum nächsten Wahllokal dadurch deutlich länger geworden.

Offizielle Rechtfertigung war stets mit dem gleichen Zungenschlag, mit dem nun Donald Trump diesen Vorwurf erhebt, man müsse Wahlbetrug verhindern. Offensichtlich handelt es sich um ein taktisches Manöver, um vom tatsächlichen Wahlbetrug abzuhalten, der darin besteht, Wähler*innen konsequent und planmäßig von der Inanspruchnahme ihres Wahlrechts abzuhalten. In den letzten drei Dekaden ist kein republikanischer Präsidentschaftskandidat mehr mit der Mehrheit aller abgegebenen Stimmen („public vote“) ins Weiße Haus gewählt worden. Nur die Mehrheit der Wahlmänner („electoral vote“) konnte den Republikanern die Macht sichern.

Im Demokratieindex des Time-Magazins stehen die USA an 25. Stelle. Außerhalb der Kategorie „vollständige Demokratie“. Man kann also sehr wohl in den USA von Wahlbetrug sprechen. Aber die Täter und Akteure sind nicht die Demokratische Partei oder „die Liberalen“, sondern reaktionäre und rassistische Kreise in der Republikanischen Partei. Es wäre schön, wenn davon auch in unseren Nachrichten zu hören und zu lesen wäre.

 

Über Medienhektor 99 Artikel
Hektor Haarkötter, Prof. Dr., lehrt Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt polit. Kommunikation an der Hochschule Bonn Rhein-Sieg.

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