Zeitungen: Keine Printausgaben mehr

Foto von Felicia Buitenwerf auf Unsplash

Gleich mehrere Zeitungen haben angekündigt, künftig wochentags keine Printausgaben mehr zu verkaufen. Was mal wie ein strategischer Schachzug aussah, sind nun aber letzte Notmaßnahmen.

Es trifft nicht irgendwen, sondern die älteste noch erscheinende Zeitung der Welt: 320 Jahre nach ihrer Gründung endet nun die Geschichte der gedruckten „Wiener Zeitung“. Ab 1.Juli soll von der „Wiener“ nur noch eine Digitalausgabe erscheinen, das Blatt soll „zu einem Medium mit Schwerpunkt Online“ werden, wie Der Standard schreibt:

Was bleibt: Sie befindet sich weiter im Eigentum der Republik – und ist fester denn je in ÖVP-Hand.

Der Geschäftsführer Martin Fleischhacker nennt das neue Produkt: „Digitales Kompassmedium“.  Mit der Umwandlung in ein reines Onlinemedium verlieren aber auch ca. 65 Mitarbeiter:innen ihre Arbeit, nur 20 Redakteur:innen sollen in der neuen Rumpfredaktion übrig bleiben:

Drei Viertel der Belegschaft in der Redaktion müssen gehen – darunter ist die gesamte Führungsriege. Der Abschied von der „Wiener Zeitung“ dürfte für einige der Abschied vom Journalismus sein. Die Jobs in der Branche sind rar.

Der Fall der „Wiener Zeitung“ zeigt aber auch, dass es zu einfach ist, auf Transformationsschwierigkeiten durch die Digitalisierung zu verweisen. Viele Probleme etablierter Medienhäuser sind hausgemacht und haben sich seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten angekündigt. Uralte Geschäftsmodelle wurden nicht aktualisiert und modernisiert, nicht nur die Inhalte, auch die Art des Wirtschaftens sind oft einfach nicht mehr zeitgemäß. Das das Abo-Marketing der „Wiener Zeitung“ beschränkte sich beispielsweise auf Werbung im eigenen Blatt. Aus unternehmerischer Sicht hatte das seine eigene Logik: Der Preis einer Ausgabe war fixiert, die „Wiener Zeitung“ sollte maximal einen Euro kosten. Die Herstellungskosten des Blattes pro Ausgabe waren aber viel höher: Jedes neue Abo brachte somit ein weiteres Minus ein und war ein Verlustgeschäft. Der einstige Chefredakteur des Blattes, Walter Hämmerle, sprach darum auch von einer „institutionellen Gleichgültigkeit“ gegenüber dem redaktionellen Produkt seitens der Eigentümer.

Finanzierung nur durch Pflichtveröffentlichungen

Unter der Woche hatte die „Wiener Zeitung“ eine Auflage von ca. 14.000 Exemplare, am Wochenende etwa 39.000. Finanziert wurde die Zeitung hauptsächlich durch Pflichtveröffentlichungen österreichischer Unternehmen im beiliegenden Amtsblatt. Laut Fleischhacker haben sie über die Jahre zwischen 85 und 90 Prozent des Umsatzes ausgemacht. Seit den 1990er-Jahren haben Wirtschaftsvertreter auf das Ende der Pflichtinserate und somit die Einstellung der Zeitung gepocht. Das jetzige Ende wurde 2018 unter dem damaligen österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz beschlossen, im Stile eines „österreichisch-ungarischen Mini-Orbán“, wie der aktuelle Noch-Chefredakteur Thomas Seifert kommentierte.

Auch linke Tageszeitung „nd“ stellt Printausgabe ein

Ganz ähnlich ergeht es in Deutschland der linken Tageszeitung „nd“, die aus dem „Neuen Deutschland“ hervorgegangen ist, der ehemaligen Parteizeitungen der Staatspartei SED in der DDR. Die Zeitung stellt zum 1. August den Einzelverkauf am Kiosk ein. Die Lage sei dramatisch: Das „nd“ steckt nach eigener Darstellung in einer existentiellen finanziellen Krise. Da die Einnahmen rund 400.000 Euro geringer und die Kosten rund 200.000 Euro höher ausgefallen seien als erwartet, habe sich aktuell ein Fehlbetrag von rund 635.000 Euro für das vergangene Jahr ergeben, berichtet das in Berlin erscheinende „nd“ in eigener Sache. Außerdem gebe es in der Buchhaltung, die vor anderthalb Jahren ausgelagert worden sei, Probleme. Es seien Buchhaltungsfehler entdeckt worden. Die Entlastung des Vorstands und des Aufsichtsrats konnte deshalb ebenfalls noch nicht erfolgen, erklärt das „nd“.

Das „nd“ ist  eine Genossenschaft. Zuvor gehörte es, jedenfalls anteilig, der SED-Nachfolgepartei PDS bzw. der „Linken“. Erst 2022 wurde die neue Eigentümerform gewählt. Hier hat man der alternativen Tageszeitung „taz“ nachgeeifert, die schon seit 1992 eine Genossenschaft ist. Das „nd“ hatte im ersten Quartal 2023 gerade noch 12.309 Abonnenten gehabt, von denen 2.569 Digitalabos abgeschlossen hätten und keine Druckausgaben bezögen, hieß es.

Digital only statt Printausgaben?

Die „taz“ war auch das erste Blatt, das schon 2018 Überlegungen öffentlich machte, aufgrund des „grundlegenden Strukturwandels“ in der Medienlandschaft die (werk-)tägliche Printausgabe einzustellen. Im Jahr 2020 wurde der Beginn der Transformation vom Papier zu digitalbasierter Art verkündet. Im Zuge dessen erschien etwa im Juni 2023 eine Stellenanzeige, in der es als aktuelle Herausforderung für die kurzfristig zu besetzende Ressortleiter-Stelle der Berliner Lokalredaktion beschrieben wurde, „die taz berlin an der Produktentwicklung der taz hin zu einem digitalen Medienhaus mit gedruckter Wochenzeitung“ zu beteiligen.

Bei der „taz“ war und ist dies eine strategische Überlegung, noch erscheint das Blatt allerdings auch wochentags gedruckt. Die „Wiener Zeitung“ und das „nd“ sind den Alternativen jetzt zuvor gekommen und müssen, aus der Not geboren, ihre Printausgaben und den Kioskverkauf einstellen.

Über Medienhektor 99 Artikel
Hektor Haarkötter, Prof. Dr., lehrt Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt polit. Kommunikation an der Hochschule Bonn Rhein-Sieg.

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