Mein Verleger hat mich rausgeschmissen

(Disclaimer: Dies ist ein Meinungsbeitrag. Er ist außerdem sehr lang. Das tut mir leid, geht aber leider nicht anders. Da der im Text genannte Verleger mittlerweile in seinem Blog seine verquere Sicht der Dinge publik gemacht hat, bleibt mir nichts übrig, als den tatsächlichen Verlauf unserer Begegnung hier richtigzustellen)

Gestern hat mein Verleger Herbert von Halem mich vor die Tür gesetzt. Ich war zu einer Buchbesprechung in den Räumlichkeiten des Herbert von Halem Verlags in Köln. In diesem Verlag habe ich mehrere Bücher veröffentlicht, unter anderem zwei Bücher zu journalistischer Recherche. Aktuell sollte ich auf Wunsch des Verlegers, Herbert von Halem (HvH), eines dieser Recherchebücher für eine Neuauflage grundsätzlich überarbeiten. Um dies zu besprechen, war ich mit HvH zu einem persönlichen Gespräch verabredet.

Für alle, die mich nicht so gut kennen: Ich bin ein nicht so bedeutender Professor für Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt politische Kommunikation an einer kleinen, jungen Hochschule für Angewandte Wissenschaft (vulgo: Fachhochschule) auf dem Land irgendwo zwischen Köln und Bonn. Zuvor habe ich 17 Jahre als Journalist, Fernsehmacher und Regisseur vor allem für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gearbeitet und dafür ein paar ebenso nicht ganz so bedeutende Journalistenpreise eingeheimst. Mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung forsche ich gerade in zwei Projekten zu Fake News und Cybersecurity. Ehrenamtlich bin ich Vorsitzender der Initiative Nachrichtenaufklärung (INA) e.V., die jährlich die Top Ten der Vergessenen Nachrichten veröffentlicht und den Günter-Wallraff-Preis für Pressefreiheit und Menschenrechte vergibt. Mehrmals hat die jährliche Jurysitzung der INA in den Räumlichkeiten des HvH-Verlags stattgefunden. In meiner Freizeit schreibe ich Bücher über Notizzettel oder übers Küssen.

Ich erzählte am Vortag dieses Treffens einem Kollegen von dem geplanten Gespräch. Dieser wies mich darauf hin, dass HvH auf der Plattform X von Elon Musk einen Tweet des meiner (und seiner) Meinung nach extrem rechten Publizisten und ehemaligen Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt ge-repostet hat. Dieser Tweet von Reichelt retweetet wiederum das Video von Facebook-Chef Mark Zuckerberg, in dem dieser verkündet, dass es auf Facebook in den USA künftig ein Ende mit dem Factchecking hat, das er, Zuckerberg, als „Zensur“ bezeichnet. Reichelt schreibt dazu (und HvH retweetet das) unter anderem:

„Die Faktenchecker (wie Correctiv und dpa) schmeißt Zuckerberg weltweit raus … Die linke Tyrannei auf Social Media bricht endgültig zusammen!“ Auf die faktischen Fehler, die schon in diesen zwei Sätzen stecken, möchte ich an dieser Stelle (noch) nicht eingehen. Ich bin wie vermutlich viele, die das hier jetzt lesen, nicht der Meinung, dass „sharen“ und „retweeten“ automatisch bedeutet, dass jemand der gleichen Meinung ist. Es kann gute Gründe geben, Postings von Julian Reichelt oder anderen zu teilen, um sich damit kritisch, intellektuell oder emotional auseinanderzusetzen. Andererseits, und darauf hat mich auch besagter Kollege hingewiesen: In der Neubearbeitung eines Buches über journalistische Recherche wird das Thema Faktencheck zwangsläufig eine wichtige Rolle spielen und vermutlich werden auch die Deutsche Presse-Agentur (dpa) und der Rechercheverein Correctiv in einem solchen Buch vorkommen. Sollte es hier zwischen Verleger HvH und mir grundsätzliche inhaltliche oder bewertungsmäßige Meinungsverschiedenheiten zu Fragen nach Faktchecking, dem Begriff Zensur und dem Begriff Meinungsfreiheit geben, wäre sein Verlag vermutlich kein guter Ort für die Neubearbeitung meines Buchs. Ich beschließe also, so unangenehm es mir auch ist, den Verleger auf diesen Retweet anzusprechen – in der Hoffnung, dass die Sache sich mit einem kurzen einordnenden Satz von HvH in Wohlgefallen auflöst.

Donnerstag, 09.01.2025, in den Räumen des HvH-Verlags: ich komme trotz Schneetreiben nass, aber pünktlich im Verlag an. HvH bietet mir einen Kaffee mit Hafermilch an und erzählt von einem Segelturn, den er im Dezember durch den Atlantik unternommen hat. Ich mache eine launige und ohne jeden Hintergedanken geäußerte Bemerkung zu Grönland, das ja gerade in den Nachrichten eine traurige Rolle spielt. HvH springt auf diese Bemerkung sofort und sagt zu mir, die Trump-Position zu Grönland sei natürlich unsinnig, aber davor habe Trump ja sehr gute Sachen gefordert. Trumps Forderung, was den Panama-Kanal angeht, könne er, HvH, jedenfalls nachvollziehen (ich zitiere hier indirekt aus meiner Erinnerung, ich möchte weder HvH noch mich auf eine konkrete Wortwahl festlegen). Auch Trumps Position zu Kanada will HvH nicht teilen, äußert aber Verständnis. Hier erinnere ich mich wörtlich an seine Formulierung, weil sie mich etwas fassungslos gemacht hat: „Trudeau hat Kanada genauso zugrunde gerichtet wie Merkel und Scholz Deutschland“.

Das ist natürlich eine Steilvorlage, um HvH auf seinen Retweet anzusprechen. Ich habe einen Ausdruck dabei (denn manchmal verschwinden Postings ja von Geisterhand wieder) und lege ihn vor. Dann frage ich ihn, was es mit diesem Posting auf sich hat.

HvH distanziert sich keineswegs von Julian Reichelt. Ich frage nach, ob HvH tatsächlich Faktchecking für Zensur halte. Daraufhin holt HvH zu einer langen Philippika gegen den Rechercheverbund Correctiv aus. Mehrmals benutzt er die Formulierung, was Correctiv mache, sei „erstunken und erlogen“. Das hätten auch Gerichte schon festgestellt und die „Zeit“ habe das auch gerade erst nachgewiesen. Ich frage, ob er sich auf die Correctiv-Recherchen zu dem Meeting in Potsdam von Rechtsextremisten mit dem identitären Referenten Martin Sellner beziehe, was HvH bejaht. Ich frage nach, welche Fakten genau denn in dem Correctiv-Bericht nicht gestimmt hätten, ob das Treffen gar nicht stattgefunden habe, ob keine AfD- und CDU-Politiker:innen anwesend gewesen wären oder ob es bei diesem Meeting gar nicht um „Remigration“ gegangen sei. Hierauf entgegnet HvH, dass es nicht um diese Fakten gehe, sondern um das „Wording“. Wenn in der Correctiv-Berichterstattung von „Massendeportationen“ die Rede gewesen sei, dann sei das laut HvH falsch gewesen. Ich gab an dieser Stelle HvH sogar recht, dass manchmal im Journalismus das Wording und die intrinsischen Bewertungen nicht angebracht seien, dass wir uns aber im konkreten Fall an die Fakten halten sollten und dass man bei so massiven Vorwürfen dann auch schon konkret zeigen müsse, wo etwas nachweislich falsch sei. HvH versteigt sich sodann noch darauf, dass man Menschen mit Doppelpass die Staatsbürgerschaft auch wieder entziehen und sie dann abschieben könne. Meinen Hinweis, dass dies nicht mit dem Grundgesetz in Einklang zu bringen sei, weil die Väter und Mütter des Grundgesetzes aus der historischen Erfahrung der NS-Zeit ausgeschlossen haben, dass jemand die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen werden kann (Art. 16 GG), tut er ab.

An dieser Stelle unterbreche ich kurz die Darstellung der Ereignisse in den Räumlichkeiten des HvH-Verlags für ein paar inhaltliche Klarstellungen: HvH beruft sich zwar auf den „Zeit“-Bericht, der diese Woche zu der Correctiv-Recherche (deren Veröffentlichung ein Jahr her ist) veröffentlicht und online offen einsehbar ist (und der inhaltlich nicht weit über die kritische Stellungnahme hinausgeht, die „Übermedien“ schon im Sommer publiziert hat), hat ihn aber offenbar selbst nicht oder nicht sehr gründlich gelesen. Sonst wüsste HvH nämlich, dass im Correctiv-Beitrag selbst das Wort „Massendeportationen“ gar nicht fällt. Sonst wüsste HvH im übrigen auch, dass bislang kein Gerichtsurteil gegen die wesentlichen Correctiv-Behauptungen ergangen ist. HvH als Verleger eines Verlags, der sich auf soziologische sowie medien- und kommunikationswissenschaftliche Bücher spezialisiert hat, könnte außerdem wissen, dass die Abteilung von Correctiv, die für die Fa. Meta das Factchecking auf der Plattform Facebook übernommen hat, nichts zu tun hat mit der Autorengruppe, die den Bericht über die Potsdamkonferenz veröffenlicht hat (und dafür übrigens einige durchaus bedeutende Journalistenpreise erhalten hat). Hier liegt ein meiner Meinung nach typisches Beispiel für die Diskursverschiebungen in einem bestimmten politischen Milieu, nämlich dem rechtsextremen vor, aus Halbwahrheiten, „alternativen Fakten“ und schlichtem Unwissen eine eigene Realität zu stricken und daraus weitreichende und extremistische politische Folgerungen zu schließen. So ziemlich das Gleiche unternimmt ja Julian Reichelt in seinem zitierten Tweet, denn Reichelt ist nicht einmal in der Lage, das Zuckerberg-Video, das er selbst anführt, korrekt wiederzugeben: Facebook schmeisst nämlich keineswegs Faktenchecker „weltweit raus“ (weil er das juristisch in vielen Ländern, z.B. in der EU, gar nicht kann). Trotzdem folgert Reichelt, eine „linke Tyrannei auf Social Media“ (welche eigentlich?) breche „endgültig zusammen“.

Zurück in den HvH-Verlag: Ich frage HvH, ob er denn allen Ernstes neben Correctiv auch die Deutsche Presse-Agentur der „linken Tyrannei auf Social Media“ zeihen würde. Hier antwortet HvH ausweichend, hält aber fest, dass mit dem Ende des Factchecking endlich wieder die Meinungsfreiheit einkehren würde.

Herbert von Halem ist ein großer Verleger, schätzungsweise zwei Meter groß. An diesem Punkt unterbricht HvH das Gespräch ziemlich abrupt, erhebt sich von seinem Stuhl, auf dem er mir gegenüber gesessen hat, und baut sich vor mir auf. Sein Schatten fällt auf mich. Es ist nach meinem Gefühl ein Schatten von ganz rechts außen. Er sagt etwas davon, dass unser Gespräch keinen Sinn mehr mache und dass er sich von mir nicht auf die Anklagebank setzen lassen wolle. Ich habe diese Situation als irgendwie bedrohlich, aber auch als absurd und vor allem als peinlich erlebt. Dabei weist er mit seiner Hand zur Tür. Mein Verleger schmeißt mich raus. Auch ich erhebe mich und fühle mich dann mit meinen immerhin 1,86 Meter wieder etwas wohler. Ich erlaube mir den Hinweis, dass ich zu keinem Zeitpunkt eine Anklage erhoben habe, sondern lediglich Fragen an ihn gerichtet habe. Dann verlasse ich irritiert, verstört und fassungslos die Räumlichkeiten des HvH-Verlags.

Ich verwende sehr bewusst das Wort Rechtsextremismus. Ich bin der Meinung, dass man Rechtsextremisten auch als solche bezeichnen sollte. Ich bin kein Freund des Ausdrucks „Rechtspopulismus“. Denn der „populus“ ist das Volk, und es spricht meines Erachtens gar nichts dagegen, sich am „Volk“, am Populären, an der Basis zu orientieren. Im Gegenteil finde ich das sehr demokratisch. Rechtsextreme Kreise haben Begriffe wie „Volk“, „populär“ etc. für sich vereinnahmt, und das halte ich für demokratiegefährdend. Außerdem würde vermutlich niemand, der HvH persönlich kennt, ihn als „populistisch“ oder gar „populär“ bezeichnen. Er verströmt meiner Meinung nach ein eher elitäres Odeur. Ganz und gar ablehnend stehe ich der Angewohnheit gegenüber, schlicht von „den Rechten“ zu sprechen und zu schreiben. Denn „Rechts-Sein“ ist erlaubt und sogar erwünscht, gehört zum demokratischen Spektrum und Diskurs. Sich außerhalb dieses Spektrums zu stellen, empfinde ich als extrem. Deswegen schreibe ich von Rechtsextremismus.

Die Ablehnung und die kritische bis sehr kritische Auseinandersetzung mit der Maßnahme und dem dazugehörigen Erklärvideo von Mark Zuckerberg reicht von FAZ bis TAZ – ein meiner Meinung nach ausreichend breiter demokratischer Konsens von rechts bis links. Wer sich selbst außerhalb dieses Konsens stellt, ist dann eben auch „außen“. Und da HvH mit ziemlicher Sicherheit nicht als linksaußen bezeichnet werden kann, gibt es meiner Meinung nach gute Gründe, die von ihm getätigten Äußerungen und Meinungen als rechtsaußen zu bezeichnen.

Die von Zuckerberg angekündigten Maßnahmen zur Einschränkung des Fact Checking sind nicht gut. Zuckerbergs Begründung dafür in seinem Video sind ein Desaster. Fake News und Desinformation auf Social Media sind ein gravierendes und demokratiegefährdendes massenhaftes Phänomen. Fake News und Lügen öffentlich zu verbreiten, fällt auch keinesfalls unter Meinungsfreiheit. Im Gegenteil hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass es kein „Recht auf Lüge“ gibt. Bei dem Faktencheck, zu dem die großen digitalen Plattformen in Europa verpflichtet sind, handelt es sich auch nicht nur um die Prüfung von Fake News, sondern auch um die Moderation im Falle von Hassrede, Beleidigungen oder Aufrufen zu Gewalt. In diesem Zusammenhang von „Zensur“ zu reden und die Medienregulierungsgesetze der EU mit den Zensurmaßnahmen der VR China gleichzusetzen, geschieht aus Unwissenheit, Dummheit oder bösem Willen. Wer sich dieser Wortwahl und diesen Ideen anschließt, der fällt auch unter diese Charakterisierung. Wenn Zuckerberg in seinem Video davon spricht, „free expression“ auf seinen Plattformen wieder herzustellen und „Restriktionen bei Themen wie Immigration und Genderfragen“ aufzuheben, dann ist dies meiner Meinung nach ein eindeutiger Aufruf, künftig vermehrt menschenverachtende ausländer- und frauenfeindliche Inhalte auf Facebook & Co. zu verbreiten.

Ich möchte keineswegs eine Existenz zerstören, und auch deswegen treibt mich die ganze Geschichte sehr stark um. Aber es waren und sind gerade Kommunikations- und Medienwissenschaftler:innen gewesen, die auch im HvH-Verlag veröffentlicht haben, die seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten auf den hohen Regulierungsbedarf in Sachen Desinformation und digitaler Gewalt hingewiesen haben (Gerbner-Studien, McBride-Kommission etc. pp.). Mir ist die Feststellung wichtig, dass nicht ich es bin, der Herrn HvH desavouiert, sondern dass er das selbst ganz allein schafft.

Als ich nach meinem Rauswurf aus dem HvH-Verlag wieder zuhause und an meinem Schreibtisch ankam, fand ich schon eine E-Mail von HvH vor. Ich muss festhalten, dass ich in meinem ganzen Leben noch keine so persönlich beleidigende und diffamierende E-Mail erhalten habe wie diese von Herbert von Halem. Da der Verleger seine E-Mail mittlerweile selbst öffentlich gemacht hat, darf ich wohl auch daraus zitieren. Mir wirft HvH „Gesinnungsschüffelei“ vor. Geschnüffelt hat er aber vor allem selbst, und zwar eine große Nase voll: Dass man seine Räumlichkeiten „lüften“ müsse, nachdem ich sie betreten habe, hat mir jedenfalls bis dato noch niemand vorgeworfen. Auch aus diesem Grund musste ich hier so ausführlich den Gesprächsverlauf darstellen, wie er mir erinnerlich ist. Der Ductus seiner Mail entspricht exakt meiner Einschätzung von der politischen Befindlichkeit des HvH, einer nach Rechtsaußen abdriftenden Verlegerpersönlichkeit. HvH selbst ist mit einem ReTweet ins Licht der Öffentlichkeit getreten – ich habe aus fachlichen Gründen inhaltliche Fragen zu seiner Veröffentlichung gestellt. Was daran „Gesinnungsschnüffelei“ sein soll, leuchtet mir keineswegs ein. An keiner Stelle unseres Gesprächs habe ich HvH angeklagt. Aber ich beklage seine Entwicklung und den politischen Irrweg, den er nach meinem Dafürhalten bewusst und willentlich beschreitet. Ich bedaure dies zutiefst.

Seine Sicht der Dinge:

https://www.halem-verlag.de/besuch-eines-gesinnungsschnuefflers

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Hektor Haarkötter, Prof. Dr., lehrt Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt polit. Kommunikation an der Hochschule Bonn Rhein-Sieg.

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