Was der Friedensnobelpreis an Journalisten bedeutet

(Foto: Ralf Lotys/Wikimedia)

Der Friedensnobelpreis geht im Jahr 2021 an zwei JournalistInnen, nämlich an die Gründerin der philippinischen Enthüllungsplattform „Rapper“, Maria Ressa, und den Chefredakteur der regierungskritischen „Novaja Gazeta“ in Russland, Dmitri Muratow. Dass das Nobelpreiskomittee Vertreter der „vierten Gewalt“ auszeichnet, ist bemerkenswert. Denn mit dem Journalismus und der ganzen Medienbranche steht heute weltweit auch die Demokratie als solche auf dem Spiel. Der Vertrauensverlust und die aktive Unterminierung der Glaubwürdigkeit von Medien durch politische Akteure zahlt direkt auf das Konto von Intoleranz, Repression und Unterdrückung ein.

Man muss es ja mal aussprechen: JournalistInnen lieben den Nobelpreis. Alle Jahre wieder in der zweiten Oktoberwoche werfen sich die BerichterstatterInnen auf die Kür der neuerlichen Preisträger, als handle es sich um eine amtliche Bekanntmachung oder die offizielle Weltmeisterschaft der Kunst und der Wissenschaften. Das ist natürlich mitnichten der Fall: Eine private Institution beschließt nicht mehr und nicht weniger, als privat verdientes Geld (und das auch noch mit dem „G’schmäckle“ von Pulverduft und Bombenrauch) in einem nichttransparenten Verfahren an andere Leute zu verschenken. Das darf sie natürlich, und dass die Freude bei den EmpfängerInnen groß ist, mag man ihnen nicht verübeln. Die Geltung, die dieser Preis in der medialen Berichterstattung spielt, scheint aber doch einzig dem Umstand geschuldet sein, dass es sich um einen der höchsten dotierten Preise im Felde der Wissenschaft handelt. Hier folgt die Berichterstattung über die Preisverleihung dann doch wieder alles andere als wissenschaftlichen oder objektiven Kriterien, sondern vielmehr dem bekannten Horse race-Frame, nach dem nur der das goldene Band der öffentlichen Aufmerksamkeit erreichen kann, der ganz vorne mit dabei ist.

Nun haben also Nobelpreis und Journalismus auch quasi ganz „offiziell“ zusammen gefunden! Dabei werden nicht erstmals JournalistInnen mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Nein, auch Willy Brandt war von Hause aus Journalist, allerdings hat er den Friedensnobelpreis 1971 nicht für seine journalistische Arbeit, sondern für seine Ostpolitik als deutscher Bundeskanzler erhalten. Ohne die Apotheose des Journalismus zu weit zu treiben — denn Journalismus betreibt in vielen Fällen auch ganz ohne Druck und ohne Not das Spiel von Intoleranz, Repression und Desinformation –, kann man doch sagen, dass der diesjährige Friedensnobelpreis an zwei JournalistInnen ein wichtiges und demokratieförderndes Zeichen ist. Das Peace Research Institute Oslo (PRIO), das ein wichtiger Seismograph bei dieser Preisverleihung ist, hatte ja schon im Vorfeld gemutmaßt, dass zum Beispiel die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ als Preisträgerin gehandelt würde. Der Reporter-Verein hat es nun doch nicht geschafft, aber mit den beiden ausgezeichneten Personen werden nicht nur Individuen, sondern Institutionen geehrt.

Dass der Friedensnobelpreis an die beiden JournalistInnen ausgerechnet in der Woche erfolgt, in der die Facebook-Plattform einen Systemausfall hat, kommt nicht ganz von ungefähr. Maria Ressa ist mit ihrem Enthüllungsportal Rapper im Jahr 2011 als Social Media-Newskanal gestartet und bis heute vor allem auch in den Social Media-Kanälen unterwegs, wo sie Fake News und politisches Trolling als Regierungshandeln nachweist. Auch die Novaja Gazeta ist heute vor allem als Onlineseite erreichbar und findet im Internet auch die meisten ihrer LeserInnen.

Dass die Novaja Gazeta sich in der Person ihres Chefredakteurs mitausgezeichnet fühlen darf, ist nicht ganz ohne historische Ironie: Das Blatt wurde in den 1990er-Jahren unter anderem mit dem Geld gegründet, das einst Michail Gorbatschow für seinen eigenen Friedensnobelpreis erhalten hat. Mit dem Sümmchen, das er bei der Gründung stiftete, wurden die ersten Computer für die Zeitung angeschafft.

Nicht allen schmeckt die Preisverleihung. Auf den „Nachdenkseiten“ munkelt Albrecht Müller, dass mit dieser Preisverleihung für den Frieden in Wahrheit die nächste kriegerische Auseinandersetzung provoziert würde:

„Die Entscheidung des Nobel-Komitees zur Verleihung des Friedensnobelpreises an den russischen Journalisten Muratow zeigt das Elend unserer Zeit. Sie dient dem Aufbau des Feindbildes Russland und der Beschönigung der Lage im Westen. Der Feindbildaufbau fördert die weitere Konfrontation und letztendlich die Gefahr einer schlimmen militärischen Auseinandersetzung“.

Wer nun schlicht meint, hier irre der Verfasser, täuscht sich doch immerhin darin, dass Irre sich kaum irren können. Wer jeden Preis an Feinde der Kriegsfreunde für Kriegstreiberei hält, der kann die Friedenspreise ja nur noch direkt den Kriegstreibern vors Kanonenrohr schnüren, was ja nun tatsächlich irre wäre. Als freuen wir uns einstweilen, dass mal jene einen Preis erhalten, die in diesen irren Zeiten jenen eine Stimme geben, die gegen den Irrsinn aufstehen. Darüber könnten auch die „Nachdenkseiten“ ja mal nachdenken.

Über Medienhektor 99 Artikel
Hektor Haarkötter, Prof. Dr., lehrt Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt polit. Kommunikation an der Hochschule Bonn Rhein-Sieg.

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