Die Süddeutsche feiert Geburtstag: Vor 75 Jahren, am 06. Oktober 1945, erschien die erste Ausgabe. Heute ist sie die wichtigste deutsche Tageszeitung, auch wenn der Glanz etwas nachgelassen hat.
Die Süddeutsche Zeitung war das erste Blatt, das nach dem verlorenen Weltkrieg unter dem Besatzungsstatut in Bayern erscheinen konnte. Die erste Ausgabe erschien zum Preis von 20 Pfennig als „Lizenzzeitung Nr. 1“ der Nachrichtenkontrolle der Militärregierung Ost. Von Anfang an wollten die Zeitungsmacher mehr sein als eine Münchener Regionalzeitung. Die politische Haltung der Redaktion ist relativ klar und wird im Redaktionsstatut auch als linksliberales Bekenntnis formuliert. Danach erstrebt die Süddeutsche Zeitung „freiheitliche, demokratische Gesellschaftsformen nach liberalen und sozialen Grundsätzen“.
Recherche als Antwort auf Medienwandel
Heute ist die Süddeutsche nicht nur die auflagenstärkste überregionale Tageszeitung in Deutschland, sondern hat vor allem auch in puncto investigativer Recherche Maßstäbe gesetzt. Mit den diversen „Leaks“-Veröffentlichungen, allen voran den sogenannten Panama-Papers, hat das Blatt internationales Renommée gewonnen. Mit dem Ausbau der Rechercheabteilung hat die Redaktion der Süddeutschen auch auf den Medienwandel reagiert: Nachrichten gibt es heute allerorten im Internet freihaus. Aber mit originären Recherchen kann eine Redaktion ein Alleinstellungsmerkmal kreiieren, kann sich vom Medieneinerlei des Netzes abheben und kann schließlich auch Kaufanreize für solche Leser*innen bieten, die sich sonst von klassischen medialen Darreichungsformen schon weit entfernt haben.
Auch und gerade im Bereich des Journalismus.online war die Süddeutsche eine geraume Weile Schrittmacher und Pionier. Schon 1995 und damit als eines der ersten traditionellen Zeitungshäuser geht sz.de ins Netz und bietet fortan journalistische Information auch online. Vor allem unter dem Onlinechef Stefan Ottlitz hat die Online-Redaktion Maßstäbe setzen können, hat als erste der großen Medientitel ein Bezahlkonzept eingeführt und mit neuen Darstellungsformen und mit Datenjournalismus experimentiert.
Gerade die Auseinandersetzungen um die Digitalabteilung, die zum Teil ein bisschen zu öffentlich geführt worden sind, zeigen, welche Risse nach wie vor durch journalistische Redaktionen gehen. Da werden die „Onliner“ als „Hoodie-Journalisten“ verspottet, umgekehrt wollte die Ottlitz-Nachfolgerin Julia Bönisch die Grenze zwischen Redaktion und Anzeigenabteilung aufweichen und damit am journalistischen Grundverständnis kratzen. Was den Blatt- und Onlinemacher*innen der Süddeutschen gerade im Angesicht des Medienwandels gut anstehen würde, wäre etwas mehr mediale Demut. Aber vielleicht ist das auch einfach zu viel verlangt: Frech und kritisch und demütig zu sein.
Häufig ist der Griff zur Süddeutschen auch heute noch einfach ein Vergnügen, egal ob digital, als E-Paper oder in der gedruckten Form. Hier verstehen Leute immer noch etwas von guten Texten — und sind deswegen auch online vor allem zum geschriebenen Wort zurückgekehrt. Die tägliche Glosse „Streiflicht“ hat viele Fans, die großen Reportagen und Dossiers der Seite 3 sind häufig Glanzlichter, und das Korrespondentennetz, das die Süddeutsche sich international nach wie vor leistet, hat in Deutschland kaum noch seinesgleichen.+
Also, Süddeutsche, meine Gratulation: Für mich bleibst Du tägliche Pflichtlektüre, ohne Dich käme ich nicht in den Tag und würde mich in der Welt um einiges schlechter auskennen!
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