Copy&Paste ist eine der vermutlich am häufigsten eingesetzten Routinen am Computer. Aber jede Routine musste irgend wann mal erfunden werden. Der Erfinder von Copy&Paste, der Informatiker Larry Tesler, ist in der vergangenen Woche gestorben. Aber seine Hinterlassenschaft hat den Umgang mit Texten radikal verändert.
Wer heute mit Texten arbeitet, tut dies an einem Bildschirm mit einem Textverarbeitungsprogramm. Schon letztgenanntes Wort sollte einen stutzig machen: Wir sagen nicht „Schreibprogramm“, sondern „Textverarbeitungsprogramm“. Denn Schreiben ist nur noch eine von einem vielfältigen Set von Aktivitäten, die wir heute mit Texten durchexerzieren können. Wir „verarbeiten“ Texte, wir arbeiten an, in und mit ihnen. Der Programmierer Larry Tesler hat mit einigen Software-Routinen den Umgang mit Texten auf Bildschirmen revolutioniert. Er hat nicht nur die Befehle „copy&paste“, sondern auch „suchen&ersetzen“ erfunden.
Kleine Geschichte der Textverarbeitung
Tesler arbeitete seit 1973 im Xerox Palo Alto Research Center (Parc) im Silicon Valley. Diese Einrichtung war damals die fortschrittlichste Institution in der Computertechnik, gerade was die „Usability“ von Software und Hardware anging. Mit dem Computer „Xerox Alto“ wurde das erste System mit einer graphischen Benutzeroberfläche entwickelt, die mittels Maus bedient wurde. Tesler schrieb dafür zusammen mit Timothy Mott 1975 ein Textverarbeitungsprogramm mit Namen „Gipsy“, das jene umstürzlerischen Funktionen hatte: „Kopieren und Einfügen“, „Ausschneiden und Einfügen“ sowie „Suchen und Ersetzen“.
Gipsy wiederum basierte auf dem allerersten Textverarbeitungsprogramm mit graphischer Benutzeroberfläche, „Bravo“. Es beherrschte erstmals das Prinzip „What you see is what you get“ (WYSIWYG): Das, was auf dem Bildschirm zu sehen war, war (ungefähr) das, was auch bei der Ausgabe auf einem Drucker herauskam. Der Erfinder von Bravo, Charles Simonyi, wechselte 1981 von Xerox zur jungen Firma Microsoft und wurde dort zum Entwickler des Programms „Multi-Tool Word“, aus dem sich dann MS-Word entwickelte, heute das weltweit am meisten verbreitete Textverarbeitungsprogramm. In den 1980er- und 90er-Jahren hatte Word aber noch einige ernstzunehmende Konkurrenten wie WordPerfect, MacWrite, WordStar oder StarWriter. Letzteres stammte ursprünglich aus einer deutschen Programmierschmiede und bildete später die Grundlage für die heutigen Open-Source-Officesuiten OpenOffice und LibreOffice.
Zwei quasi historische Dokumente der Internetgeschichte dokumentieren die Funktionsweise der ganz frühen Textverarbeitungssysteme. Das „Alto User’s Handbook“ von Xerox ist immer noch im Internet zu finden und enthält ein Kapitel über die Textverarbeitungssoftware Bravo. Auch für Gypsy existiert im Netz noch das Manual: „Gypsy – the Ginn Typescript System“.
Was Copy&Paste angerichtet hat
Durch diese neuen Möglichkeiten der Textverarbeitungen wurden und werden Texte nicht mehr „heruntergeschrieben“, sondern sind zur Spielwiese für mannigfache Operationen geworden. Texte werden in Bausteine zerlegt (die berüchtigten „Textbausteine“), umgruppiert, neu sortiert. Und durch die Verfügbarkeit fremder Texte mittels Vernetzung können diese Operationen nicht nur mit dem eigenen Gedankengut durchgeführt werden, sondern auch mit den fremden Federn jenes gigantischen Textcorpus, der uns heute weltweit und multilingual zur Verfügung steht.
Der Philosoph Gernot Böhme stellt fest, wer heute eine schriftliche Arbeit abliefern müsse, der gebe „eine Art Patchwork ab, einen Flickenteppich von Zitaten und aphoristischen Überlegungen“. Dies sei das Ergebnis der Arbeit mit Computern:
„Man speichert ab, was man liest, gibt ein, was einem einfällt, und am Ende wird ein Text zusammengeschnitten“.[1]
Und Philipp Theisohn, bei dem ich das letztgenannte Zitat ursprünglich gefunden, vulgo: abgeschrieben habe, fügt dem noch hinzu, dies sei schon deswegen tadelnswert,
„weil es in der Regel nichts als geistigen Abfall zum Resultat hat, welcher den Korrektor psychisch belastet“.[2]
Schreiben und Denken im digitalen Zeitalter bedeutet, Gedankensplitter und Notizen aneinanderzureihen, und womöglich zählt das zur Psychopathologie dieses Zeitalters. Texte sind heute eigentlich gar keine Texte mehr, es sind Daten, die miteinander verknüpft werden. Man könnte auch sagen: Schreiben war eine historische Tätigkeit, die man ausführen musste, solange es noch keine Textverarbeitungsgeräte gab, die copy&paste beherrschten.
Plagiate und Plagiatsjäger
Die Waffe, die mit Copy&Paste auf das geistige Eigentum gerichtet ist, kann aber auch gegen die Schurken selbst gewendet werden. Denn es ist genau diese fundamentale Operation, mit der auch die Plagiatsjäger arbeiten, wenn sie den erschwindelten Doktortiteln und anderem textuellen Schindluder nachspüren. Nichts ist schließlich einfacher, als aus einem digital vorliegenden Text (und welcher Text liegt heute nicht digital vor?) eine Passage zu markieren, zu kopieren und mittels Suchmaschine im weiten, weiten Internet nach Parallelstellen zu suchen.
Andererseits wäre zu fragen, ob wir unseren Begriff des geistigen Eigentums nicht den neuen Gegebenheiten des Copy&Paste-Zeitalters anpassen müssten. Vielleicht verschmelzen ja all die kleinen Texteinheiten, Bausteine und Notizzettel im digitalen Universalmedium zu einem einzigen Universaltext, der alles beinhaltet und zu dem sich die einzelnen subalternen Texte verhalten wie die Krümel zum Kuchen.
Larry Tesler, der Erfinder von Copy&Paste, wechselte übrigens 1980 zur Fa. Apple, wo er bis 1997 tätig war. Anschließend arbeitete er auch noch für Amazon und Yahoo. Man kann ihm, wie Fridtjof Küchemann es vergangene Woche in der FAZ getan hat, hinterherrufen:
Wir verdanken ihm viel.
Wir verdanken ihm viel.
Wir verdanken ihm viel.
[1] Gernot Böhme: Bildung als Widerstand. Was sollen die Schulen und Hochschulenlehren? Ein Versuch über die Zukunft des Wissens?, in: Die Zeit 1999, 38, S. 51.
[2] Philipp Theisohn: Plagiat. Eine unoriginelle Literaturgeschichte, Stuttgart 2009, S. 520.
Links
YouTube: Larry Tesler demonstriert an einem Xerox Alto das „Copy&Paste“
Kommentar hinterlassen