Journalistisches Upskirting

(Foto: R.K.B. by Rebel/Pixelio)

Menschen unter den Rock zu fotografieren wird „Upskirting“ genannt und soll in Deutschland unter Strafe gestellt werden. Im Journalismus ist das ganz normal und wird „Höschenblitzer“ genannt: Ein Beispiel dafür, wie sträflich mancher Journalismus ist.

Die Münchener Abendzeitung erzählt mal wieder das Fernsehprogramm nach. Es geht um die Sendung „Let’s Dance“ und eine Tanzeinlage von drei Promi-Damen. Und das klingt auf der Website des Münchener Boulevardblatts dann so:

„Ein besonderer Hingucker waren dabei die hochgeschlitzen Kleider der Damen, die mehr Haut zeigten, als sie verbargen. Und die 30-jährge Burdecki zeigte noch ein bisschen mehr. Nach der Tanzeinlage völlig außer Atem, meinte sie im Smalltalk mit Moderator Daniel Hartwich: ‚Ich glaube, die Schminke läuft schon runter‘. Dann lupfte die Blondine ihr Kleidchen und präsentierte – unabsichtlich? – ihr kleines, weißes Höschen“.

Garniert ist dieser Artikel natürlich mit der entsprechenden fotografischen Abbildung. Auch das Klatschblatt Die Bunte, das Leidblatt für alle Po-, Vagina- und Busen-Angelegenheiten der spärlich bekleideten Prominenz, hat auf ihrer Website eine Unten-rum-Prosa zu bieten, bei deren Lektüre anständige Menschen noch obenrum schamesrot werden:

„Sich von einer Kleiderpanne die Laune verderben lassen? Das ist nichts für VOX-Star Panagiota Petridou. Als wir sie auf dem Roten Teppich treffen, erzählt sie uns ganz frech die Lösung für’s geplatzte Kleid: einfach nichts drunter. Hui!“

Hui? Überschrieben ist dieses journalistische Beweismittel im Prozess Hirn gegen Guten Geschmack mit „Höschenblitzer nach geplatztem Kleid?“ Mit dem Neologismus „Höschenblitzer“ spielt das Schmierblatt aus dem Burda-Verlag auf den auch als „Nipplegate“ bekannt gewordenen berühmt-berüchtigten sogenannten „Busenblitzer“ von Janet Jackson beim Super Bowl im Jahr 2004 an. Früher waren mit dem Blitzlichtgewitter die Blitze der Fotografen bei Presseevents gemeint. Wenn es heute im Journalismus blitzt, geht es um primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale, die unbeabsichtigt oder auch beabsichtigt unter Kleidungsstücken hervorlugen. Das Interesse von Boulevardjournalist*innen und Teilen ihrer Leserschaft an solchen anatomischen Offenbarungen ist selbst in Zeiten von YouPorn & Co. offenbar unstillbar. Dabei haben Beiträge wie diese den Informationsgehalt einer leeren Menge. Selbst wenn die Autor*innen, Fotograf*innen und Leser*innen solcher Höschenblitzer-Prosa ihre Pubertät nur teilerfolgreich hinter sich gebracht haben, erklärt dies das unverhohlene voyeuristische Verlangen nach dem Blick zwischen die Beine anderer Menschen nur mangelhaft.

Sträflicher Journalismus

Auf der journalistischen Zweitverwertungsplattform tag24 ist zu lesen:

„Nach der TV-Aufzeichnung der Sat.1-Sendung ‚Mord mit Ansage‘ zeigt sich Verona im sexy Mini-Kleid in einem knallroten Ton. Auf dem Foto sitzt sie mit überkreuzten Beinen und lässt ihre Follower dabei besonders tief unter ihrem Kleid blicken“.

Auch dieser Beitrag ist selbstredend mit der entsprechenden Abbildung garniert. Upskirting nennt man das ungefragte, voyeuristische Fotografieren, das einer Frau unter den Rock guckt. Solche Upskirts landen häufig auf Pornoseiten und anderen Onlineplattformen. Auf vielen Upskirts sind die Frauen identifizierbar. Oft werden Frauen dafür in der Öffentlichkeit heimlich fotografiert oder bedrängt. In Australien, Japan, Neuseeland, Finnland und seit diesem Frühjahr auch in Großbritannien ist Upskirting strafbar. In Deutschland setzen sich Hanna Seidel und Ida Sassenberg dafür ein, dass ein entsprechender Straftatbestand ins Gesetz aufgenommen wird. Auf der Onlineplattform change.org haben sie eine Online-Petition gestartet, um Mitstreiter*innen für dieses Ziel zu gewinnen.

Was der boulevardeske Journalismus.online macht, wenn er mit „Höschenblitzer“-Fotos von vermeintlichen oder wirklichen prominenten Frauen Kasse machen will, ist nichts anderes als journalistisches Upskirting und gehört verboten. Paparazzi mit meterlangen Teleobjektiven werden auf die Lauer gelegt, um Schauspielerinnen und Showsternchen fotografisch zu belästigen und jede Garderoben-Ungeschicklichkeit zu dokumentieren und zu veröffentlichen, sobald ihr Hormonhaushalt ihnen die entsprechenden pseudosexuellen Signale liefert. Geblitzt wird, wenn es „blitzt“, ob Höschen oder Bluse, ob Handtuch oder Bikini. Es handelt sich um sträflichen Journalismus, der den ganzen Berufsstand zu diskreditieren droht.

Über Medienhektor 99 Artikel
Hektor Haarkötter, Prof. Dr., lehrt Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt polit. Kommunikation an der Hochschule Bonn Rhein-Sieg.

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