US-Präsident Trump will die Rechte der Social Media-Netzwerke einschränken. Er hat damit vielleicht nicht mal so unrecht. Nur seine Motive sind sehr zweifelhaft.
Die kommunikative Liebesbeziehung zwischen Präsident Trump und seinem bislang favorisierten Medienkanal Twitter hat deutliche Risse erhalten. Der Kurznachrichtendienst Twitter hatte zwei Tweets des US-Präsidenten erstmals einem Faktencheck unterworfen. Donald Trump hatte fälschlicherweise und zum wiederholten Male behauptet, Briefwahlen seien ein Einfallstor für Wahlmanipulation. Twitter begründete das außergewöhnliche Vorgehen mit der möglichen Verunsicherung von Wählern und verweist auf seine Nutzungsbedingungen, denenzufolge Tweets, die irreführende Informationen enthalten, mit einem Warnhinweis und einer Richtigstellung versehen werden oder gar ganz gelöscht werden können. Twitter bezieht sich mit dem eingeblendeten Link, der auf eine Website mit Informationen zur Briefwahl aus zehn verschiedenen seriösen Medien führt, auch nur auf Trumps Behauptungen zur Briefwahl selbst, während, wie netzpolitik.org kritisch anmerkt, „der Rest des vor Lügen strotzenden Feeds von Trump … unangetastet“ blieb. Die Nutzungsbedingungen wurden eigens in diesem Frühjahr noch einmal verschärft, um gegen Desinformation im Zusammenhang mit der Corona-Epidemie und CoVid-19 vorgehen zu können.
Dies war aber nur der erste Streich in der Auseinandersetzung Twitter vs. Trump. Seine Tweets zu den Demonstrationen anlässlich der Polizeigewalt in Minneapolis würden die Richtlinien gegen Gewaltverherrlichung verletzen und entsprechend gekennzeichnet. Trump hatte getwittert: „Wenn es zu Plünderungen kommt, wird geschossen“. Auf englisch klingt der Satz fast schon poetisch, hat aber einen noch viel schärferen Akzent: „when the looting starts, the shooting starts“ ist in Wahrheit ein den meisten Amerikaner*innen bekanntes Zitat von Walter Headley, des ehemaligen Polizeichefs von Miami, das im Jahr 1967 auf die Bürgerrechtsbewegung gemünzt war.
Twitter: Kein einheitliches Verhalten
Twitters Verhalten dem Präsidenten gegenüber wirkt nur auf den ersten Blick mutig. In Wahrheit ist Twitters Verhalten den eigenen Usern gegenüber, sowohl was überhaupt die Etablierung von Nutzungsbedingungen , als auch was deren Anwendung angeht, sehr uneinheitlich. Eigentlich müsste Twitter solche Tweets, die gegen die Nutzungsbedingungen verstoßen, direkt löschen. Davor sind die Trump-Tweets aber unter anderem durch einen sogenannten Bonzen-Paragraphen geschützt. Verstoßen die Tweets bestimmter Politiker*innen, die Twitter selbst festlegt, gegen die Bestimmungen, bleiben sie dennoch auf Twitter abrufbar, wenn dies nach Einschätzung Twitters „im öffentlichen Interesse“ sei.
Andere verlogene Textnachrichten des US-Präsidenten bleiben einfach auf Twitter stehen und werden auch nicht mit einem Warnhinweis versehen. Zum Beispiel hat Trump mehrfach einen Journalisten und ehemaligen republikanischen Abgeordneten, der beim Präsidenten in Ungnade gefallen war, beschuldigt, vor 19 Jahren eine Praktikantin ermordet zu haben. Tatsächlich hatte die junge Frau damals in einem Büro in Florida aufgrund eines unbekannten Herzfehlers das Bewusstsein verloren und sich beim Sturz eine tödliche Kopfverletzung zugezogen. Der Abgeordnete weilte zu der Zeit im weit entfernten Washington, DC. Trotzdem lässt Twitter die Verleumdungen Trumps unbeanstandet.
Der Witwer der damals verstorbenen Frau hat sich mit einem bewegenden Brief persönlich an Twitter-Chef Jack Dorsey persönlich gewandt und um Löschung der Anwürfe gebeten. Sie verstießen gegen die Nutzungsbedingungen und fügten ihm und anderen Hinterbliebenen große psychische Schmerzen zu. In diesem Fall will Dorsey aber keinen Verstoß Trumps gegen Twitters Nutzungsbedingungen erkennen und lehnt das Löschbegehren ab.
Trump will Plattformen regulieren
Präsident Trump hat den Fehdehandschuh aufgegriffen und will nun auf dem Verordnungswege gegen Twitter vorgehen. Ausgangspunkt ist ein Abschnitt im „Communications Decency Act“ (CDA), der in den USA das sogenannte Providerprivileg festschreibt. Diese durchaus strittige Norm besagt, dass Online-Plattformen nicht für Inhalte in Haftung genommen werden können, die die User dort hochladen. Wie so viele andere Normen hat auch diese ihr Für und Wider: Für diesen Haftungsausschluss spricht, dass es nicht Aufgabe privater Plattformbetreiber sein soll, den „user-generated content“ zu bewerten. Daher kommt dann das Gerücht auf, die Plattformbetreiber seien ja nur „Infrastrukturanbieter“, so wie beispielsweise die Telekom es ist, wenn sie uns zuhause mit einer Telefonleitung versieht, ohne darauf Einfluss zu nehmen, was wir da am Telefon besprechen.
Das war und ist allerdings nur die halbe Wahrheit, und damit kommen wir zum Wider einer solchen „free speech“-Regelung: Denn in Wahrheit nehmen die Plattformen nämlich sehr wohl Einfluss auf die Inhalte, und die nun von Trump zur Diskussion gestellte „Section 230“ des CDA besagt auch ausdrücklich, dass die Betreiber die User-Inhalte, etwa anstößiges oder hasserfülltes Material, nach Gutdünken „moderieren“ können. Das heißt ganz konkret: Letztlich entscheidet doch die Plattform (und zwar willkürlich), was dort veröffentlicht werden darf und was nicht. Weibliche Brustwarzen sind dann etwa ein totales No-Go, blutrünstigste Mordszenen dagegen bleiben online stehen. Einer irgendwie demokratischen Kontrolle sind die Onlinegiganten dabei enthoben.
Dazu kommt, dass viele Plattformen wie zum Beispiel Facebook ihren Usern nicht alle für sie gedachten Inhalte, sondern nur eine kleine Auswahl zu Gesicht bringt, und dieser Vorgang wird von Algorithmen gesteuert. Auch diese Algorithmen sind geheim und damit ebenfalls öffentlicher Kontrolle enthoben. Empirisch wurde aber mehrfach belegt, dass diese Algorithmen häufig gerade extreme und extremistische Postings bevorzugen und damit gerade der Verbreitung von Desinformation und von moralisch fragwürdigen Botschaften Vorschub geleistet haben.
Der Communications Decency Act stammt aus den 1990er-Jahren, als es die Plattformen, von denen wir heute reden, alle noch gar nicht gab. Um der damals zarten Pflanze Internet zum Wachstum zu verhelfen, mag dieses Gesetz angebracht gewesen sein. Heute haben wir es mit der Monopolisierung massiver Meinungsmacht zu tun, da ist eine völlig andere demokratische Regulierung und auch Kontrolle der Kommunikationsströme über diese Plattformen vonnöten.
Unterschiede zwischen USA und Europa
Das Vorgehen rund um die Regulierung der Social Media-Plattformen unterscheidet sich in der Europäischen Union und in den USA massiv. Das hat nicht nur den Grund in einer unterschiedlichen Tradition und gesellschaftlichen Bewertung des Begriffs „freier Rede“. Es hat auch damit zu tun, dass es sich hier um US-amerikanische Wirtschaftsunternehmen handelt, die bisher unter besonderer Kuratel des Weißen Hauses und des amerikanischen Kongresses standen. In Europa dagegen ist die Notwendigkeit einer deutlich stärkeren Regulierung und Kontrolle der Plattform-Betreiber mittlerweile erkannt worden, um die Rechte der User zu sichern und zu stärken. In Deutschland wird gerade ein neuer Medienstaatsvertrag verhandelt, der den alten Rundfunkstaatsvertrag ablösen soll und neben den Rundfunkanstalten nun erstmals auch die sogenannten Intermediäre regulativ in den Blick nimmt. Hier geht es nicht nur um den Schutz vor Desinformation, sondern beispielsweise auch um Vielfaltssicherung, den einfachen Zugang zu Medienangeboten für alle und natürlich um Datenschutz.
Trumps Plan gegen Social Media könnte nach hinten losgehen
Präsident Trumps Vorgehen dagegen — und das berührt einen dann doch wieder einmal sehr peinlich — ist nicht durchdrungen vom Willen, etwas für die Interessen seiner Bürger*innen zu unternehmen. Er handelt, wie so oft, nur auf eigene Rechnung und will in einer unwürdigen Art und Weise seinen eigenen Vorteil sichern, nämlich ungehindert auf allen Plattformen weiter Grobheiten zu verbreiten, zu lügen und zu desinformieren. Das könnte allerdings schief gehen.
Trump befiehlt in dem Erlass seinem Wirtschaftsminister, innerhalb von 60 Tagen gemeinsam mit dem Justizminister einen Antrag an die unabhängige Regulierungsbehörde FCC (Federal Communications Commission) zu stellen, damit diese neue Regeln für Online-Dienste erlässt. Es geht darum, Onlinedienste schneller für die Postings ihrer User verantwortlich zu machen. Nimmt man Trumps Erlass wörtlich, gibt es für die Social Media-Betreiber nur zwei Möglichkeiten: Sie könnten nur noch gegen das rechtlich verlangte Minimum (Copyright und sexuell Anstößiges) vorgehen und von Malware über gesundheitsgefährdende Lügen bis zur Organisation von Völkermord alles durchgehen lassen, oder ihre Nutzungsbedingungen strenger formulieren. Das könnte dann allerdings darauf hinauslaufen, dass sie auch Trumps Postings regelmäßig löschen müssten, was Twitter bislang vermieden hat („Bonzenparagraph“).
So paradox es klingt, hat das schlingernde Verhalten von Facebook, Twitter & Co. gerade die Publikationen von Rechtsextremisten wie Donald Trump oder anderen amerikanischen Konservativen und rechten Hardlinern geschützt. Gerade weil die kalifornischen Betreiber der Social Media-Plattformen bei Konservativen in dem Ruf stehen, zu den „Liberalen“ zu zählen (was in deren Logik so viel heißt wie, „Linke“ zu sein), sind sie umso mehr erpicht darauf, sich das rechte Lager irgendwie gewogen zu halten — gerade in Anbetracht der derzeitigen politischen Mehrheitsverhältnisse. Diese, zum Teil ungerechtfertigte, politische Positionierung ist also eine durchaus effektive Strategie der Konservativen, die Plattformen daran zu hindern, gegen rechte Hetze vorzugehen. netzpolitik.org schreibt dazu:
„So sträubt sich etwa Twitter dagegen, Neo-Nazis gleich zu behandeln wie Verbreiter von ISIS-Propaganda. Zu Recht fürchtet das Unternehmen, dass dabei Accounts von prominenten Republikanern unter die Räder kommen würden, die ungestraft mit Lügen und Hass die US-Öffentlichkeit manipulieren“.
Ähnlich sei es bei Facebook: Zuletzt berichtete das Wall Street Journal, der Konzern habe eine interne Studie unter den Teppich gekehrt, die den firmeneigenen Algorithmen eine radikalisierende Rolle zuschreibt. Auch hier wären bei einer Änderung insbesondere konservative Nutzer betroffen gewesen, fürchtete Facebooks Policy-Chef, der rechts-konservative Joel Kaplan.
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