Sternstunden des Online-Journalismus: Blaulicht, Flutlicht, Rotlicht

Markus Knall, tz München

Markus Knall, der Online-Chef der Münchener Tageszeitungen tz und Merkur, kann die Korken knallen lassen: Seine Titel marschieren scheinbar unaufhaltsam im Ranking der journalistischen Online-Medien nach oben. Aber der Preis ist hoch: die guten Zahlen werden vor allem mit Niveaumangel, Stillosigkeit und Clickbaiting erreicht.

Laut dem neuesten Ranking, das der Branchendienst Meedia auf Basis der AGOF (= Arbeitsgemeinschaft für Online-Forschung)-Zahlen erstellt, hat es der Merkur mit Platz 9 unter die Top Ten geschafft, und das bei einer Steigerungsrate von 17 % im Vergleich zum Vormonat. Die tz liebt auf Platz 12 – im Vormonat war sie noch auf Platz 21! Wenn man sich fragt, wie solche Steigerungsraten im Journalismus.online zu erreichen sind, muss man sich nur einmal ein paar der aktuellen Artikel ansehen.

Blaulicht, Flutlicht, Rotlicht

„Blaulicht, Flutlicht, Rotlicht“, so hat Online-Chef Markus Knall mir gegenüber im Interview das inhaltliche Konzept seines Online-Auftritts beschrieben. Und es scheint, dass er sich immer konsequenter an diese Devise hält. Artikel sind dann schon mal so überschrieben:

Lena Mayer-Landrut: Malheur zwischen den Beinen? Roter Badeanzug viel zu knapp (tz online)

Der dann folgende Artikel, von sprachlicher oder inhaltlicher Finesse großräumig befreit, erzählt weitgehend recherchefrei einige Instagram-Postings der Popsängerin Lena Meyer-Landrut nach. Kleine Kostprobe:

Lena Meyer-Landrut lässt es sich derzeit in der Sonne gut gehen. Richtig gut gehen. Bevor die anstrengenden Aufgaben einer Star-Sängerin wieder auf sie warten, erholt sie sich in der Ferne. Einzige Aufgabe neben Erholung und Abenteuer: die Fans an alldem teilhaben lassen. Das macht sie sehr eifrig via Instagram. Mit einzelnen Fotos wie diesem, bei dem sie leicht bekleidet in Katar überm „Abgrund“ baumelt.

Dass diese Form des „Social Journalism“, der es weitgehend dabei belässt, aus Postings zu zitieren, sinnfrei und informationsleer ist, das ist das eine. Das andere ist, dass man damit offenbar dennoch recht ordentliche Klickzahlen generieren kann. Dass das bei der tz System hat, sieht man, wenn man sich die unter dem Artikel verlinkten weiteren tz-Beiträge ansieht:

Laura Wontorra postet Badezimmerselfie – mit diesen Reaktionen hat sie wohl nicht gerechnet

Mariah Carey zeigt sich in extrem knappem Bikini – unfassbar, wie sie aussieht 

Wussten Sie, dass Sarah Lombardi sich einst komplett „unten ohne“ gezeigt hatte?

Badezimmerselfie? Unfassbar knapper Bikini? Unten ohne? Auf dem Schulhof würde jeder 13-Jährige mit beginnender Pubertät nur müde gähnen. Aber im Journalismus.online lässt sich mit solchen Unzulänglichkeiten offenbar Aufmerksamkeit generieren und Geld verdienen.

Auch der „seriöse“ Merkur zieht blank

Nun ist die tz selbsterklärtermaßen ein Boulevardmedium und trägt den „unten ohne“-Journalismus irgendwie in der DNA. Der Münchener Merkur dagegen galt einmal als seriöse, eher konservative Münchener Tageszeitung, die mutig mit der Süddeutschen Schritt halten wollte. Diese Ansprüche hat man offenbar in der Münchener Bayerstraße aufgegeben. Artikel auf der Website des Merkur klingen so:

Brautpaar schneidet Torte an und ist geschockt – ihre Hochzeit ist ruiniert

Verärgerte Kundin fordert Entlassung eines Lidl-Mitarbeiters – doch es kommt anders

dm-Kunden flippen wegen Klopapier aus – jetzt wird es auf eBay angeboten

Das ist Clickbaiting der groben Art, und man dachte eigentlich, dass seit den Tagen von heftig.co eine solche Masche eher „out“ sei. Doch der Merkur schafft es mit solch inhaltsleerem Geplapper in die Top Ten der deutschen Online-Journalismus-Charts. Da wird man ein bisschen traurig und möchte es mit Karl Kraus halten, der einst schrieb,

„daß mir für die Zukunft einer Nation, die diesen Unflat als geistige Nahrung zu sich nimmt, nur die Hoffnung bleibt, sie werde bei fortschreitender Verblödung schließlich nicht mehr imstande sein, zu lesen – was dann den Ruin der Presse, und in weiterer Folge die geistige Erholung der Menschheit herbeiführen wird“.

Linktipp:

Meedia: Die AGOF-Top-100

 

Über Medienhektor 99 Artikel
Hektor Haarkötter, Prof. Dr., lehrt Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt polit. Kommunikation an der Hochschule Bonn Rhein-Sieg.

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