Kölner-Stadtanzeiger lässt die Hosen runter

(Foto: Pixabay)

In Köln feiert ein Musical Premiere. Gefeiert wird es vor allem vom Kölner Stadt-Anzeiger. Über die Gründe muss man nicht lange spekulieren – journalistische werden es nicht sein.

Wer am Freitag, den 4.11.22, den Kölner Stadt-Anzeiger in die Hand genommen hat, wird sich gewundert haben: Die komplette Titelseite wurde von einer rotfarbenen Druckgrafik eingenommen, die zur „Galapremiere“ des Musicals „Moulin Rouge“ einlädt. Dieses Stück wird in den kommenden Monaten im blauen Musicalzelt neben dem Kölner Hauptbahnhof aufgeführt. Abgefahren! Nur klein in der Ecke entdeckt man, dass es sich um eine bezahlte Anzeige handelt. So schlecht kann es dem Lokaljournalismus also nicht gehen, denn wenn eine Zeitung direkt die ganze Titelseite räumt, um Werbung zu schalten, dann muss sie eine Stange Geld dafür bekommen haben.

(Screenshot von E-Paper-Ausgabe KStA)

Allerdings haben solche Geschäfte immer zwei Seiten. Auch den Kölner Stadt-Anzeiger wird dieser Coup ganz schön was gekostet haben. Und tatsächlich! das zeigt sich, wenn man in die Eloge hineinliest, die der Kölner Stadt-Anzeiger am folgenden Montag als Premieren-„Kritik“ veröffentlicht hat.

„‚Moulin Rouge!‘ ist ein Triumph“, liest man da recht unbefangen, und dass dieser Satz nicht noch mit einem Ausrufezeichen endete, liegt vermutlich daran, dass der Titel des Musicals sich aus unerfindlichen Gründen schon mit einem solchen Zeichen schreibt. Die Emphase des kritisierenden Redakteurs kennt keine Grenzen:

„Betritt man den Saal des Musical Dome, klappt erstmal der Unterkiefer herunter. Roter Plüsch umkuschelt  das Publikum, 39 Kronleuchter setzen es ins schmeichelhafteste Licht, links drehen sich die Flügel der titelgebenden Windmühle auf einer Balustrade“.

Auch mit heruntegeklapptem Unterkiefer kann der Kölner Redakteur noch weiterplaudern. Das gelingt ihm vermutlich, weil dieses Musical bei ihm und bei der Geschäftsführung des Kölner Stadt-Anzeigers ein gerüttelt‘ Maß körpereigener Opiate ausschüttet, die das Sprachzentrum vernebeln und den kritischen Geist des Musicalkritikers kurzzeitig haben aussetzen lassen:

„Der Regisseur Alex Timbers und die Choreografin Sonya Tayeh setzen sie mit großer Klarheit und größtmöglichen Schwung um und können sich in Köln auf ein Ensemble verlassen, das jede Sekunde mit Endorphinen auffüllt“.

Klebrige Endorphine

Die mit Endorphinen verklebten Sekunden täuschen keine Sekunde darüber hinweg, dass einem eine solche Musical-Besprechung gehörig auf den Wecker geht. Der Schlussabsatz dieses Artikels könnte direkt der PR-Broschüre der Musical-Produzenten entnommen sein. Was ein Produzent tun muss, um in der örtlichen Zeitung eine solche Hymne auf sein Musical zu lesen zu bekommen, ist neben der Schaltung sündhaft teurer Anzeigen auf Titelseiten offenbar, den örtlichen Musical-Kritiker das ein oder andere Gläschen Perlwein auszugeben. Berauscht jedenfalls entledigt sich der Kritiker des Kölner Stadt-Anzeigers der letzten Hüllen aus Ortographie, Logik und rutschfesten sprachlichen Bildern und schließt mit den Worten:

„‚Moulin Rouge!‘ vergeht wie im Champagnerrausch, ist von höchst möglicher Professionalität und könnte dabei nicht besser aussehen. Man möchte es vor Freude dem Ensemble gleichtun, die Beine hochwerfen und Rüschenschlüpfer zeigen. Ein Triumph der schönen Oberfläche, aber am Ende dieser Kunst des Zitats stehen echte Tränen. Wer nah an der Bühne sitzt, sieht sie Sophie Berners Wangen herunterlaufen“.

Die unverhohlene Drohung des Redakteurs der Kölner Zeitung, die Leserinnen und Leser mit seiner Unterwäsche zu belästigen, ist eine recht treffende Metapher dafür, dass der Kölner Stadt-Anzeiger mit dieser kaum kaschierten Werbung für seinen Geschäftspartner die Hosen heruntergelassen hat. Kopplungs-Geschäft nennt man ein solches Agreement von Leuten, die keine Gentlemänner mehr genannt werden möchten. Und wer noch Zweifel daran hat, dass hier mit Anzeigenpreisen der journalistische Anstand erkauft worden ist, der muss nur ein bisschen weiter im Kölner Stadt-Anzeiger blättern. Denn der Coup mit der gekauften Titelseite und Kulturredakteuren, die sich bis auf die Schlüpfer entblößen möchten, ist offenbar von langer Hand vorbereitet worden.

Nie sah journalistische Käuflichkeit schöner aus

Die Vorberichterstattung über das Musical „Moulin Rouge!“ (nur echt mit dem Ausrufezeichen!!) setzte im Kölner Stadt-Anzeiger schon den gesamten Herbst über Ausrufezeichen. Schon im Juli beginnt die Kölner Lokalzeitung, den roten Teppich für das neue Musical auszurollen. „Spektakulär“ sei es, wie der Kölner Musical Dome für die neue Produktion umgebaut werde. Und das Lied geht weiter:

„Nie sah Liebeskummer schöner aus“

schreibt eine Redakteurin am 09. September 2022 in dem Kölner Blatt. Am 12.09. werden zwei „Botschafter“ im Stadt-Anzeiger gefeatured, deren Berufung vor allem darin zu bestehen scheint, ihre werblichen Botschaften in der Kölner Zeitung unterzubringen. Am 16.10. ist dann zu lesen:

So fantastisch sah der Kölner Musical Dome noch nie aus

Kein Stein sei bei dem Umbau auf dem anderen geblieben, wird in dem Artikel ausgesagt: Das ist allerdings bei einer Zeltkonstruktion auch nicht so schwer. Am 04.11. werden die beiden HauptdarstellerInnen des Musicals portraitiert und mit der beachtlichen Äußerung zitiert: „Das ist Hochleistungssport“. Ebenfalls am 4.11. findet sich in der Kölner Zeitung ein Report über „Letzte Feinabstimmungen für ‚Moulin Rouge!‘ in Köln“. Am 06.11. veröffentlicht der Köln Stadt-Anzeiger auf YouTube ein Video mit „Das sagen die Stars“-O-Tönen zur Premiere.

Und auch nach der werblich daherkommenden Premierenkritik ist noch nicht Schluss mit lustig. Am 08.11. wird im Kölner Stadt-Anzeiger berichtet, wie wichtig dieses Musical als Wirtschaftsfaktor für die Stadt sei. Apropos Wirtschaftsfaktor: Andere Kulturveranstaltungen und finanziell weniger potente Kulturveranstalter würden davon träumen, überhaupt im Kölner Stadt-Anzeiger vorzukommen oder gar in dieser Form. Da erscheint manchmal einfach Kollege Zufall dabei mitzureden, über welche Beiträge aus dem enorm reichhaltigen Kulturleben der Millionenstadt Köln in der Kölner Zeitung berichtet wird. Im Falle des Musicals „Moulin Rouge!“ allerdings war offenbar kein Zufall am Werk, sondern ein Portemonnaie.

Am 14.11. dürfen BesucherInnen des Musicals „von ihrer Begeisterung für ‚Moulin Rouge'“ berichten — dieses Mal ohne Ausrufezeichen, was darauf hindeuten könnte, dass die Musical-Produktionsfirma langsam mal an die nächsten Werbeschaltungen in der Kölner Zeitung nachdenken sollte. Nicht, dass doch noch ein Fragezeichen auftaucht, was diese Berichterstattung über ein Musical angeht.

 

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Hektor Haarkötter, Prof. Dr., lehrt Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt polit. Kommunikation an der Hochschule Bonn Rhein-Sieg.

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