Erreger und Erregung

(Foto: Unsplash)

Das Virus, von dem jetzt alle reden, steht für eine doppelte Viralität: Die Globalisierung trägt nicht nur den Erreger, sondern auch die Erregung über den Erreger um die Welt. Die öffentliche Meinung formiert somit ihre eigene Fieberkurve, das Informationsgeschehen mutiert zum Desinformationsgeschehen. Im Fokus steht neben dem Krankmacher auch das Kommunikationsgeschehen.

Die Anbieter im Nachrichtengeschäft können sich freuen: Sondersendungen über die Pandemie mit dem neuartigen Corona-Virus erzielen höchste Einschaltquoten, Nachrichtenseiten im Netz haben beste Abrufzahlen, auch die ehrwürdige und gute alte Tageszeitung erlebt fröhliche Urständ‘. Die ARD-Tagesschau hatte am vergangenen Sonntag Abend eine höhere Einschaltquote als der folgende „Tatort“: 17 Mio. Zuschauer*innen wollten wissen, was die Journalist*innen über die Welt in Zeiten von Corona in Erfahrung bringen konnten. Das ist erst einmal gut und schön (bei aller Liedrigkeit des Themas). Unsicherheit in der Lebenswelt führt zu wachsendem Informationsinteresse, und eine der Instanzen, die dieses Interesse auf seriöse Art zu decken vermag, ist der Journalismus.

Fehlgeleitete, irreführende oder schlicht falsche Kommunikationen haben aber auch erheblich zur Verschärfung der Krise beigetragen. Dafür gibt es vielfältige Beispiele und das hat sehr vielfältige Gründe:

  • Schon an der Wurzel der Entstehung dieser aktuellen Pandemie hat Kommunikationsversagen der chinesischen Führung zusammen mit vorauseilendem Gehorsam in diesem totalitären System zur stärkeren Ausbreitung des Virus geführt;
  • die ständige Nachrichtenflut versetzt das Publikum in eine Stimmung von Alarmismus: Nach dem Stille-Post-Prinzip werden die ständig sich ändernden Nachrichten kolportiert und dabei ungenau, fehlerhaft oder völlig übertrieben weitererzählt;
  • Immer wiederkehrende Nachrichten und Bilder bestimmter Sachverhalte können verstärkend im Sinne einer „self-fullfilling prophecy“ wirken.

Letzteres scheint mir beispielsweise für die Bilder von leeren Supermarktregalen zu gelten. Die Photographin und der Kameramann werden bevorzugt solche trostlosen Regale zeigen und nicht die prall gefüllte Frischfleischtheke oder das gut bestückte Kühlregal mit Milchprodukten. Beim Publikum kommt dabei die Nachricht an, dass die Versorgungslage womöglich doch nicht so gut ist, wie die Politik verspricht, was wiederum zu vermehrten Einkäufen führt. Warum nun gerade Klopapier knapp werden soll? Das verstehe ich wirklich auch nicht!

Information als Schadsoftware

Das Corona-Virus schleust biologische Schadsoftware in den menschlichen Körper ein. Auch die Information über diesen Erreger schleust Schadsoftware in Körper, genauer gesagt: In die Köpfe, es handelt sich aber um informationelle Schadsoftware. Wir treffen hier exakt auf den linguistischen Unterschied von „das Virus“ und „der Virus“. Beide Redeweisen sind bei uns im Deutschen verbreitet. „Das“ Virus beschreibt die medizinische Entität, während „der“ Virus eine programmierte Variante bezeichnet, ein Stückchen kommunikative Schadsoftware meint. Die informationelle Schadsoftware, die durch Corona die Runde macht, hat zwei Effekte: Zum einen mutiert Information zu Desinformation. Zum anderen verstärkt die Berichterstattung ein Gefühl von Unsicherheit, Sorge und Angst, und das kann zu irrationalem Verhalten führen (Stichwort: Klopapier). „Der“ Virus verstärkt auf diese Weise „das“ Virus.

Wenn Politiker wie Boris Pistorius, SPD-Innenminister von Niedersachsen, nun Strafen für das Verbreiten von Fake-News fordern, ist das eine Bedrohung der inneren Sicherheit, die noch über die Bedrohung durch den Corona-Erreger hinausgeht. So stellt etwa der Medienrechtler Frederik Ferreau in einem Facebook-Post fest:

„Gerade in dieser Zeit erweist sich die ungeheure Dynamik des Meinungsbildungsprozesses: Meinungen, Einschätzungen und Standpunkte ändern sich beinahe stündlich. Nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wissenschaft. Wo aber viel Dynamik ist, kann es kaum echtes Wissen geben. Mit anderen Worten: Ohne Fakten keine Fake News“.

Besonders anschaulich sei dies vergangenes Wochenende geworden, als offenbar in Sozialen Netzwerken so viele Meldungen über drastische Shut down-Maßnahmen verbreitet worden seien, dass sich die Bundesregierung zu einem Dementi genötigt sah – nur um dann keine 48 Stunden später genau diese Maßnahmen einzuführen. Vertrauensbildung durch staatliche Instiutionen stelle man sich wohl etwas anders vor.

Verbreitung als Verengung

Die Verbreitung führt zu einer Verengung: die Verbreitung des Erregers führt nämlich zu einer Verengung wirtschaftlicher Ressourcen. In letzter Zeit ist ja in den Sozialwissenschaften viel von Post-Wachstums-Märkten die Rede. Die Einschränkungen des Alltags bringen eine Wirtschaft auf Schrumpfkurs, die dadurch die Probe aufs Exempel für all diese Degrowthkonzepte machen kann. Das Schrumpfen der Wirtschaft steht aber auch in direkter Abhängigkeit von der veröffentlichten Meinung, sprich: der journalistischen Berichterstattung. Etwa der Niedergang von Aktienkursen, was bekanntermaßen vor allem auf psychologischen Faktoren beruht. Die Zunahme der Erregung qua Berichterstattung führt zu solchen Angst- und Sorge-Effekten, dass es in der Folge zur Abnahme der Kurse kommt.

Die Kranken werden, nach aller Statistik, wieder gesund. Aber die Gesunden werden vom Kommunikationsgeschehen krank.

Bleiben Sie gesund.

Über Medienhektor 104 Artikel
Hektor Haarkötter, Prof. Dr., lehrt Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt polit. Kommunikation an der Hochschule Bonn Rhein-Sieg.

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