Gesetzentwurf: Anonymes Netzwerk wird kriminalisiert

(Foto: Martin Adams/Unsplash)

Laut einem Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums Soll der Betrieb von Tor-Servern kriminalisiert werden.  Das Ministerium will damit erreichen, gegen Whistleblowing-Plattformen wie etwa Wikileaks ermitteln zu können. Ferner droht Anonymisierungsdiensten das Aus, mit denen etwa Exilmedien brisante Informationen aus Krisengebieten erhalten können.

Das ist das Ergebnis einer Analyse des sogenannten Darknet-Paragrafen, die Juristen, IT-Experten und Menschenrechtsaktivisten interdisziplinär durchgeführt haben. Der Entwurf verunsichert Betreiber von Tor-Servern, die zirka 30 Prozent des weltweiten Tor-Netzwerks ausmachen. Wegen dieser großen Zahl hätte ein Rückgang des TOR-Engagements in Deutschland gravierende Folgen für das gesamte Netzwerk. Der Geschäftsführer der Nicht-Regierungsorganisation “Reporter ohne Grenzen”, Christian Mihr, sagt dazu:

„Wir wehren uns gegen die Kriminalisierung unseres Einsatzes für Anonymität im Internet. Nur weil wir Tor-Knoten betreiben, sind wir nicht kriminell“.

Die Journalistenorganisation unterstützt das Tor-Netzwerk mit zwei Servern, um Journalist/innen die Umgehung von Zensur zu ermöglichen.

„In unseren Trainings zur digitalen Sicherheit erleben wir täglich, wie wichtig ein VPN oder der Tor-Browser für die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten geworden ist. Solche Angebote gilt es im Zeitalter zunehmender Überwachung zu stärken, anstatt zu kriminalisieren.“

Die erwähnte interdisziplinäre Analyse zum „Darknet-Paragrafen“ ist hier abrufbar.

Argumente des Innenministeriums juristisch umstritten

Auf Bundes- und Landesebene kursieren seit Monaten Gesetzesentwürfe, die vor allem den Betrieb von Handelsplattformen im sogenannten Darknet unter Strafe stellen sollen. Während die an der Stellungnahme beteiligten Organisationen den Kampf gegen „Darknet“-Kriminalität prinzipiell unterstützen, schießen nach Meinung von “Reporter ohne Grenzen” die vorgelegten Gesetzesentwürfe deutlich über das Ziel hinaus:

“Vermeintliche Lücken im Strafrecht bestehen bei genauer Analyse nicht, vor allem aber sind die geplanten Befugnisse so weitgehend, dass der bloße Betrieb von Anonymisierungsdiensten kriminalisiert werden kann. Es ließe sich ein Anfangsverdacht herstellen, um zum Beispiel Server zu beschlagnahmen”.

Bei drei Vertretern der Zwiebelfreunde sei dies vergangenes Jahr bereits passiert, wobei jedoch die Durchsuchungen bayerischer Ermittler anschließend für rechtswidrig erklärt worden seien. 

Mit Bundes-Gesetz Wikileaks bekämpfen?

Das geplante Gesetz geht eben nicht nur gegen illegale Marktplätze vor. Auch viele wünschenswerte Anwendungen des „Darknet“ oder sogar im “normalen” Internet könnten nach den Plänen des Bundesinnenministeriums kriminalisiert werden. Es soll zwar eine Ausnahme für „Darknet“-Dienste geben, die lediglich von redaktionellen Medien genutzt werden, doch hierzu würde in der Praxis nur die sogenannte Secure-Drop-Technologie zählen, mit der anonyme Briefkästen im Internet betrieben werden können. Die Süddeutsche Zeitung betreibt beispielsweise eine solche eine Secure Drop.

Die Whistleblowing-Plattform Wikileaks könnte sich aber auf die Ausnahme nicht berufen, obwohl sie mit hunderten redaktioneller Medien weltweit zusammenarbeitet. Gegen Menschen, die für Wikileaks arbeiten, könnte demnach auf Basis des „Darknet-Paragrafen“ ermittelt werden. Auch die Nutzung des Filesharing-Programms Onion Share würde kriminalisiert, wiewohl es gerade bei Exilmedien sehr beliebt ist. Mit diesem Programm können Reporter/innen in diktatorischen Ländern anonym große Datenmengen wie zum Beispiel Videos an Redaktionen schicken, die das Material in Sicherheit verarbeiten und veröffentlichen können.

Verunsicherung in deutscher Tor-Szene

Die Autoren warnen in ihrer Analyse vor einer einschüchternden Wirkung, die ein solch breit gefasster „Darknet-Paragraf“ gerade für Betreiberinnen und Betreiber von Tor-Servern in Deutschland hätte. Der vom Bundesinnenministerium geplante „Darknet-Paragraf“ würde es erheblich erleichtern, einen Anfangsverdacht wegen der Ermöglichung von Straftaten zu begründen. Strafverfolgungsbehörden könnten damit gegen Personen vorgehen, die einen Tor-Server betreiben, etwa indem sie zum Beispiel die Computer beschlagnahmen. 

Anonymität im Internet ist ein wichtiges Gut, und das nicht nur für Journalist/innen, sondern für Otto Normalverbraucher und Ottilie Normalverbraucherin. Wer beim Surfen oder Einkaufen im Internet nicht getrackt werden möchte, wer den letzten Rest an Privatsphäre online schützen will oder wer einfach nicht möchte, dass irgendjemand ihm bei seinen Onlinerecherchen ständig über die Schulter guckt, der muss auch künftig das Recht haben, anonym zu surfen, in dem er oder sie beispielsweise das TOR-Netzwerk nutzt. Viele Kriminelle tragen bei ihren Verbrechen Schuhe, ohne dass das Bundesinnenministerium deswegen die Schuhindustrie kriminalisieren will. Viele Kriminelle atmen bei ihren Verbrechen Sauerstoff, ohne dass deswegen das Einatmen von Atemluft künftig gesetzlich verboten werden soll. Also sollte auch das anonyme Surfen nicht nur deswegen unter Strafandrohung gestellt werden, weil auch Kriminelle es tun.

 

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Deutschland noch auf Platz 13 von 180 Staaten.

Über Medienhektor 99 Artikel
Hektor Haarkötter, Prof. Dr., lehrt Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt polit. Kommunikation an der Hochschule Bonn Rhein-Sieg.

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