Vergangene Woche ist der Grimme Online Award vergeben worden. Am auffälligsten beim diesjährigen Webseiten-„Oscar“ ist eigentlich, wer nicht preisgekrönt wurde.
Dass es heute in der Online-Welt eben nicht nur um Shopping, Beauty und Spam geht, sondern auch und vielleicht sogar vor allem um Politik, das machte die Direktorin des Grimme-Instituts Frauke Gerlach in ihrer Rede bei der Preisverleihung in Köln deutlich: „Das Netz hat die kommunikativen Spielregeln der Politik unwiderruflich geändert“. Umso auffälliger, dass der Online-Akteur, der in den vergangenen Wochen mit Abstand die meiste Aufmerksamkeit erhalten hat, der YouTuber Rezo, nicht zu den Ausgezeichneten zählt. Der große Hype um sein Video „Zerstörung der CDU“ kam schlicht erst nach Ende der Nominierungsfrist auf. Das Internet als Echtzeitmedium ist eben schneller selbst als die internetaffinen Preisverleiher bei den Grimmes.
Genuiner Online-Journalismus ausgezeichnet
Auffällig bei den in diesem Jahr Preisgekrönten ist, dass es doch viele genuin journalistische Formate sind, die in den fünf verschiedenen Kategorien die Preise einheimsen konnten. Genuin journalistisch heißt in diesem Fall, dass auf Eigenrecherchen basierende Geschichten in online-adäquatem Gewand präsentiert werden. Der Rechercheverbund Correctiv beispielsweise hat mit Wem gehört Hamburg? eine Crowdsourcing-Aktion gestartet, bei der die Hamburger Bürger selbst aufgefordert waren, ihre Mieterdaten online preiszugeben. „Crowd-Newsroom“ haben die Macher das genannt. Bei der Analyse der so gewonnen Daten kam heraus, wer die größten Wohnungsanbieter in Hamburg sind, dass die kommunale Wohnungsbaugesellschaft auch nicht anders agiert als manche Miethaie oder dass Grundstücksverkäufe zum Teil ohne das nötige Wissen getätigt werden.
Auch die Krautreporter wurden in diesem Jahr preisgekrönt. Vor mittlerweile fünf Jahren gegründet, hat das Portal sich mit seinem konstruktiven Journalismus eine stattliche Leserzahl erarbeitet, die von den Krautreportern selbst als „Mitglieder“ bezeichnet werden. Denn das Projekt finanziert sich komplett selbst, und das ohne Werbeeinnahmen oder Querfinanzierungen, sondern ausschließlich über die Beiträge eben dieser Mitglieder oder ihren Genossenschaftsanteilen. Hier haben sich die Krautreporter die Tageszeitung taz zum Vorbild genommen, die schon in den 1990er-Jahren ihre Besitzverhältnisse in eine Genossenschaft verwandelt haben.
Andere Preisträger muss man dagegen eher erratisch nennen. Der Twitterkanal Krieg und Freitag und sein Macher Tobias Vogel stellen Stirchzeichnungen ins Netz, die gesellschaftliche Themen aufgreifen sollen. Die künstlerisch wenig ambitionierte Qualität dieser Zeichnungen wird dabei als besonderer Charme verkauft. Naja. Auch die Auszeichnung des Gruppenblogs Techniktagebuch, der seine Beiträge auf der Plattform Tumblr einstellt, ist irgendwie eher irritierend. Viele der dort versammelten Miniaturen erscheinen wenig originell, und die Bloggingoberfläche Tumblr steht auch nicht gerade für innovaties Design oder gefällige Benutzerführung.
Zeit der Online-Highlights vorbei?
Gute und auch sehr gute journalistische Arbeit ist da unter anderem ausgezeichnet worden. Aber so das richtige Highlight, das einen vor Innovation vom Stuhl reißt, war auch nicht dabei. Vielleicht ist die Zeit für solche Web-Entdeckungen auch vorbei: Auch im Netz hat man mittlerweile eben schon so mancherlei gesehen, Überraschungen werden da schwieriger. Das hat aber womöglich auch sein Gutes: Der Journalismus.online ist in der Normalität angekommen und kann sich vielleicht ein gewisses „business as usual“ leisten. Eventuell muss aber auch die Grimme Online Jury noch etwas aktueller werden, um nicht ein ums andere Mal wichtige Zeitströmungen schlicht zu verpassen.
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